Montag, 25. Januar 2010

Wie ich es sehe

Ich gehöre zu jenen, für die die DDR der Versuch war, eine Gesellschaft zu errichten, in der Menschen- und Bürgerrechte geachtet würden, in der es solidarisch, kooperativ und barmherzig zugehen würde und ich betrachtete dies als meine ureigene Sache, als mein persönliches Anliegen. 1946, nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, gab ich eine gute Stellung in London auf, um in die damalige sowjetische Besatzungszone zu ziehen und zum Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft beizutragen.
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Die offensichtlichen Defizite der Ostzone und späteren DDR schmerzten mich, wie mir die Untaten eines missratenen Kindes wehgetan hätten. Stets fühlte ich mich für das, was in diesem Land an Positivem ebenso wie an Negativem vor sich ging, mitverantwortlich, obwohl ich keine nennenswerten politischen Funktionen ausübte und als ziemlich unangepasste Westremigrantin und Ehefrau bzw. Ex-Ehefrau eines aus der Partei Ausgeschlossenen auch niemals zu denen gehörte, die für höhere Weihen in Frage kamen. Dennoch war das Regime für mich immer „wir“ und nie „sie“.

Das hatte mit der Tatsache zu tun, dass die Ostzone bzw. nach 1949 die DDR für mich ungeachtet aller ihrer unübersehbaren Schwären und Pickel nicht wie die Bundesrepublik restaurative Züge trug; dass dort keine Gestapobeamten ihre alten Posten wiedererlangten bzw. pensionsberechtigt waren, dass dort nicht starr an überholten wirtschaftlichen und politischen Strukturen festgehalten wurde, wodurch das Potsdamer Abkommen zur Farce geriet und dass bei uns anders als dort Frauen nicht massenhaft an den Herd zurückgeholt wurden, sondern ihr eigenes Geld verdienen konnten und damit ein Stück Unabhängigkeit erlangten.

Während es in der Bundesrepublik 1968 einen einzigen Versuch gab, sich vom Muff des antikommunistischen und dem Kalten Krieg verschriebenen Regime zu befreien, rissen die Versuche, aus der DDR einen demokratisch-sozialistischen Staat mit menschlichem Antlitz zu machen, nie ab. 1953 waren es die ArbeiterInnen, 1956 die StudentInnen, 1968 die neue junge Generation, und immer wieder die Künstler und Intellektuellen. Die Wende von 1989 war der letzte, alle Schichten des Volkes erfassende Aufstand gegen den verderbten „Realsozialismus“, in dem die emanzipatorische Zielstellung des Sozialismus deformiert war, und der letzte Versuch, diesen gewaltfrei zu reformieren.

Dieser Versuch erfüllte mich mit Euphorie. Als er teils aus strategischer Unreife und Interessenvielfalt der ReformerInnen, teils wegen der massiven Einflussnahme der herrschenden Kreise der Bundesrepublik, sowie der Bereitschaft der Gorbatschow-Regierung, die DDR ohne wirtschaftliche und soziale Sicherheiten für deren Bevölkerung preiszugeben, scheiterte, wollte ich es lange Zeit nicht glauben und setzte ich mich noch Monate lang im Rahmen der unabhängigen Frauenbewegung vergeblich dafür ein, Reste der sozialen Errungenschaften der DDR zu erhalten. Für deren notwendige Reform, nicht aber deren Abschaffung waren wir unmittelbar nach der Wende angetreten. Indes verschwand in Windeseile der größte Teil des „sozialen Klimbims“ (bezahlbare Kindereinrichtungen, Haushaltstag, Babyjahr, bezahlte Freistellung bei Krankheit der Kinder, billige Kinderkleidung und –schuhe, Freistellung für kostenlose Qualifizierung, usw.), ohne dass es gelang, irgendetwas zu erhalten.

Die deutsche Einheit samt Währungsreform wurde im Galopp vollzogen und die DDR-BürgerInnen mit Hilfe der Treuhandanstalt von ihrem Volkseigentum, sowie die Hälfte von ihnen, mehrheitlich Frauen, auch von ihren Arbeitsplätzen befreit. Es waren keineswegs lauter marode Betriebe; immerhin hatte der später ermordete Treuhandpräsident Detlev Rohwedder das Volksvermögen auf über 600 Mrd. DM geschätzt, das Frau Breuel in kurzer Zeit auf ein Minus von 300 Mrd. DM herunterwirtschaftete.

Eine Minderheit verbesserte sich, was ihre wirtschaftliche Lange anlangte, und alle kamen in den Genuss überbordender Waren- und Dienstleistungsangebote; sie durften endlich reisen, wohin sie es sich leisten konnten – ohne Zweifel ein Gewinn. Ein Austausch von Freiheiten fand statt. Die alten Freiheiten, die es im DDR-Erwerbsleben gab, verschwanden; nun durfte man nicht einmal mehr laut sagen, wie hoch das eigene Gehalt war. Dafür konnte man ungestraft auf die Regierung schimpfen und seine abweichende Meinung in Leserbriefen veröffentlichen, angemeldete Demonstrationen durchführen u. Ä. m. Lange vernachlässigte Stadtkerne wurden saniert, die Schönheit der in der DDR-Zeit vernachlässigten Gründerzeitbauten erstrahlte in neuem Glanz, während die Mieten um das Zehnfache stiegen und so manche/r Mieter/in in ein billiges Quartier umziehen musste. Viele verloren ihr Häuschen, das sie entschädigungslos an den einst geflohenen „Alteigentümer“ zurückgeben mussten.

Mit der deutschen Einheit begann das Ostvolk, sein bis dahin über die Westmedien, speziell das Fernsehen bezogenes Westbild zu korrigieren. Mehrheitlich haben die Ossis inzwischen ihre Skepsis gegenüber der DDR-Obrigkeit auf die neue Obrigkeit ausgedehnt, ohne allerdings die Aufmüpfigkeit der Wendezeit wiederzubeleben.

Inzwischen hat der globale Kapitalismus seine Unfähigkeit zur Schaffung „blühender Landschaften“ ebenso unter Beweis gestellt wie seinerzeit der Realsozialismus, und die Völker der Erde haben bisher nicht einmal genug gemeinsamen Druck entfalten können, um die sie bedrohenden Klimakatastrophen zu verhindern, geschweige denn, dass sie der neoliberalen Politik der Industriestaaten Einhalt gebieten konnten.

Die Geschichte des schwächeren deutschen Teilstaats, der ein Ergebnis der durch die westlichen Siegermächte mit Einverständnis des Adenauer-Regimes durchgeführten Teilung Deutschlands war, schrumpft heute in den Mainstreammedien auf die Formel Stasi- und Unrechtstaat. Die „friedliche Revolution“, der als Ziel die „Einheit Deutschlands“ unterstellt wird, sei das Werk einer von den Kirchen geführten Widerstandsbewegung und somit ebenso erfolgreich gewesen wie das „Erfolgsmodell Bundesrepublik“. Wer wagt es dann noch davon zu reden, dass man vom DDR-Bildungssystem, seinem Gesundheitswesen, seinen Familiengesetzen, seiner entschleunigten Arbeitswelt, ja sogar seiner Behandlung von (nicht politischen) Rechtsbrechern positive Anregungen für das vereinigte Deutschland hätte übernehmen können.

Wo Geschichte vereinseitigt wird und Ideologie an die Stelle von Analysen tritt, dort werden stets handfeste Machtinteressen bedient. Das ist heute nicht anders, als es in der DDR war.