Dienstag, 21. Juli 2009

Lesen Männer anders als Frauen?

Bemerkenswert scheint mir, dass Frauen und Männern meine Autobiografie "Die Überleberin. Jahrzehnte in Atlantis" Wien-Mülhausen 2008 völlig anders lesen. Speziell auf die ganzheitliche Konzeption meines Buchs reagieren die Geschlechter grundverschieden.
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Ich war bemüht, alle Seiten des Lebens so darzustellen, wie es ihrer Bedeutung im realen Leben entspricht. So kommen darin nicht nur die wechselvollen Beziehungen zu meinen Kindern vor, sondern auch Haustiere als Mitgeschöpfe der Familie. Wie im „richtigen Leben“ spielen auch im Buch Liebes- und Freundschaftsbeziehungen ebenso eine Rolle wie die politischen Ereignisse oder die berufliche Entwicklung und Tätigkeiten der Verfasserin. Wo es kulturhistorischen Sinn macht, werden Banalitäten des Alltags – wie der Kauf eines alten Autos oder die gastronomischen Defizite in Ostseebädern in DDR-Zeiten - nicht ausgespart, denn ihnen eignet ein symbolischer Charakter.

Die Besprechungen männlicher Rezensenten haben mir erst zum Bewusstsein gebracht, dass vielen Männern – anders als Frauen - das Alltagsleben mit seinen Freuden und Problemen nicht nur banal erscheint, sondern unwichtig, unter Umständen sogar peinlich und auf alle Fälle nicht berichtenswert. Zubereitung und Genuss von Speisen, Beziehungen innerhalb der Familie, Garten- und Wohnungspflege, Urlaubs- und Feiertagsgestaltung, Umgang mit Geld u.Ä. sind für sie triviale Themen, die ihrer Meinung nach nichts Wesentliches über die Person oder die Zeit aussagen. Deshalb ging meinen mir durchaus wohlwollenden Rezensenten die Erwähnung von „Ausflugszielen, Autopannen, Familienfeiern, Jugendweihen, Katzenkrankheiten … gehörig auf die Nerven“. Sie sahen darin meine „Unfähigkeit, das umfangreiche biografische Material literarisch zu bündeln“ und ertrugen es nur deshalb, weil mein „Kampfgeist, … Selbstkritik, … die Begeisterungsfähigkeit, … das Streben nach Gemeinschaftlichkeit und natürlich die Leidenschaft für Politik“ sie von dem Buch „nicht loskommen ließ“.

Nun besteht selbst ein langes und sehr vielfältiges Leben wie das meine im wesentlichen aus Alltagssituationen und das Bewältigen großer historischer Zäsuren, von Krisen und Katastrophen stellt nur einen vergleichsweise geringen Teil des Lebens dar. Wie man sich einer ungewöhnlichen Herausforderung stellt, sagt durchaus etwas über eine Person aus. Aber ohne Kenntnis des Alltagsverhaltens eines Menschen, ohne zu erfahren, was ihm oder ihr tagtäglich abverlangt wird und wie er sich mit banalen Anforderungen auseinandesetzt, was ihn/sie glücklich oder traurig macht, wo er/sie fehlbar ist, wissen wir nicht viel über eine Person und nur wenig über die Zeit oder die Verhältnisse, in denen sie lebt. Sie wäre keine einigermaßen glaubhafte Gestalt, sondern eine heldische Pappkameradin.

„Quellen gehören ins Archiv.“, ist ein anderer „männlicher“ Einwand gegen meine "Detailversessenheit". Wenn ich aber aussagekräftige Quellen ausklammere oder nur interpretierend zusammenfasse, wie kann sich der Leser/die Leserin ein eigenes Urteil bilden?

Leserinnen haben mein Konzept der Ganzheitlichkeit ausnahmslos angenommen: Sie begrüßten die „faktenreichen Geschichten … aus einem Lebensalltag“ aus denen „ein Stück DDR-Geschichte [entstanden] sei, die nicht der Deutungshoheit derer überlassen wird, denen dieses Leben fremd war“. Eine Rezensentin lobte das Buch, "weil die Autorin die historische Ebene freimütig mit der persönlichen verbindet."

Leserinnen hielten gerade die Darstellung derjenigen Seiten des Lebens für wichtig und aussgefähig, die von Männern als Mangel an Schreibprofessionalität bewertet werden: „Ich hatte bisher noch keine Autobiografie gelesen, die so gründlich und so offen das Privatleben analysiert. Nicht nur die Familienbeziehungen, die Liebesbeziehungen, die Kinderfreuden und Kindersorgen, … auch die unterschiedlichen Erfahrungen mit Haustieren". Historiker und Historikerinnen, die sich für konkrete Themen des DDR-Alltags interessieren, würden später einmal auf ihre Kosten kommen.

Woran liegt es, dass sich männliches und weibliches Lesen, aber auch biografisches Schreiben so stark unterscheiden? Könnte es sein, dass auch noch im 21. Jahrhundert die uralten Rollenbilder vom Mann, der ins feindliche Leben hinausgeht, und der Frau, die an Haus und Herd gebunden ist und damit den Alltagsbanalitäten ihre Aufmerksamkeit schenken und für tausend Nebensächlichkeiten Zeit haben muss, das Lesen und Schreiben der Geschlechter prägt?

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Dienstag, 14. Juli 2009

Der Pluralismus unserer Medien

Obwohl mein Verleger mir über meine Autobiographie "Die Überleberin. Jahrzehnte in nAtlantis" schrieb, sie sei „ein Lichtblick in der Flut der täglich eingehenden Manuskripte", konnte er sich, als er in Österreich oder Deutschland für das Buch warb, wenden, an welche JournalistInnen, Zeitungen, Zeitschriften, Rundfunksender, Fernsehkanäle, große Bibliotheken er wollte, ...

stets erhielt er einen Korb. „Das Buch ist nicht leicht einzuordnen: einerseits Exilliteratur, andererseits Zeitgeschichte, feministisch, sozialistisch, wissenschaftlich und gleichzeitig ‚persönlich’. Für dem 'Mainstream' ist das Buch politisch inakzeptabel: Die Autorin ist aus England nach Deutschland zurückgegangen (was die Österreicher mühsam finden), Sie ist nach Ostberlin gegangen (was die Westdeutschen mühsam finden). Sie verurteilt die DDR nicht pauschal, Sie ist kritisch gegenüber der ‚Wiedervereinigung’ und noch dazu Feministin. Sie bezieht trotz jüdischer Herkunft eine kritische Haltung zum Staat Israel“ fasste er die Lage zusammen. Die Mainstream-Publizistik ignoriert das Buch daher konsequent.

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Sonntag, 5. Juli 2009

Wege übers Land

Der FS Sender RBB bereitete den älteren ostdeutschen ZuchauerInnen gestern einen besonderen Genuss: Er brachte den dreiteiligen DDR-FS-Film "Wege übers Land" aus dem Jahre 1968. Allein um die namhaften SchauspielerInnen Ursula Karusseit, Manfred Krug, Erik S. Klein, Armin Müller-Stahl, Erika Pelikowsky, Angelika Domröse, Maja Antoni, die meisten noch sehr jung, aber bereits überzeugende KönnerInnen, wieder agieren zu sehen, war es wert, viereinhalb Stunden vor dem Fernsehen zuzubringen. Der Film, ...

der sich auf das Buch von Sakowski stützte, hatte aber auch außer erstklassiger Schauspielkunst etwas zu bieten, das bereits damals und erst recht heute Seltenheitswert hat: Eine unaufdringlich humanistische Gesinnung. Niemand, nicht die versoffene Kätnerin, noch die standesbewusste alte Großbäuerin, nicht der landlose Bauer und Arbeitsdienstfunktionär oder Armin Müller-Stahl als Mitarbeiter des Gauleiters Funk in Polen wird als menschliche Wesen preisgegeben. Keiner wird zum Papiertiger. Wiewohl das NS-Regime im Film keine seiner Scheußlichkeiten verbirgt, unterlassen die Produzenten jegliche naturalistische Sensationshascherei. Umso deutlicher wird die Leistung derer sichtbar, die den gefährlichen Schritt in die Zivilcourage tun und wie die Kätnerstochter Gertrud (Karusseit)sich eines jüdischen Kindes annimmt, dessen Leben und das eines weiteren Kindes sie konsequent und gegen alle Fährnisse des Regimes und des Krieges erfolgreich verteidigt. Selbst aus den KommnistInnen werden keine Superstar-Helden gemacht. Dies ist vor allem das Verdienst von Manfred Krug, der in jeder Sequenz des Films nachvollziehbar macht, warum für zahlreiche junge Ostdeutsche in den ersten Jahrzehnten der DDR Leute wie der von ihm verkörperte junge Kommunist nachahmenswürdige Vorbildfunktionen ausübten. So unpathetisch, lakonisch und unpropagandistisch wie der Beginn des Films ist auch sein Schluss: Manfred Krug zwingt die Großbauern durch einen geistreichen Trick, Milch für die Ernährung der hungernden Flüchtlingskinder abzugeben. Die neue Zeit beginnt also nicht nur mit Hunger und Elend. Sie zeigt auch ihre (leider später verspielten) menschliche Potenz.

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