Dienstag, 14. Dezember 2010

Hanna Behrend (1922 – 2010)

„Ich stelle mir vor, dass sich meine Oma am 30. November 2010 plötzlich an einem warmen Frühsommertag wiederfindet. Schmerzfrei und gut zu Fuß begibt sie sich einen kleinen Weg entlang und hinter einer Kurve steht mein Opa, wie er immer da stand, das Kinn leicht nach oben, als wolle er in den Himmel schauen und wartet. Er bemerkt sie, macht eine kleine Handbewegung und alle die Haustiere, die schon bei ihm sind, kommen herbei. Meine Oma lächelt ihn an. Er sagt: »Da bist du ja.« Und sie sagt: »Ich habe alles geregelt, sie trauern, aber es geht ihnen bald wieder gut. Ich habe ihnen gesagt, sie sollen mich in guter Erinnerung behalten; an dich haben sie sich auch immer erinnert.« Dann machen sie mit den Hunden und Katzen einen Spaziergang.“

Katharina Gruhle, Berlin, 1. Dezember 2010

Schöner kann man es gar nicht sagen, als Katharina, die Enkelin es auf der Trauerkarte gesagt hat und etwas Besseres kann man einer außergewöhnlichen Großmutter gar nicht nachsagen. Es würde Hanna gefallen, denn es spendet uns auch Trost. Das Leben besteht aus vielen Spaziergängen, es macht viele Schleifen. Nicht immer sind es schmerzfreie Spaziergänge gewesen, die Hanna gegangen ist. Noch können wir es nicht glauben, dass sie am 30. November 2010, es muss ein grauer Novembertag gewesen sein, ihren letzte Spaziergang gegangen ist.

Hanna war nicht nur eine außergewöhnliche Oma, sie war auch eine außergewöhnliche Freundin und eine außergewöhnliche Rednerin und Schreiberin. Wir sehen sie vor uns, klein von Gestalt, groß in ihren Werken. Sie wusste, was sie wollte und konnte das hartnäckig verfolgen. Sie muss unermüdlich gearbeitet haben, von frühmorgens bis tief in die Nacht. Wir konnten das nachvollziehen, an den e-mails, den Telefonaten mit uns aber auch anhand der Besuche, bei denen wir ihren strengen Tagesablauf erleben durften. Sie empfing gerne Besucherinnen.

Wir haben sie doch erst vor Kurzem getroffen, als sie im Erkelenzdamm aus ihrem Buch gelesen hat oder gerade eben im Cafe Sybill, wo wir gemeinsam einem Zeitzeugen lauschten. Hanna sah aus wie immer: fein geschminkt und mit gebügelter Bluse und freute sich, dass sie noch arbeiten kann. Sie hatte noch einiges vor, was jetzt niemand mehr erledigen kann. Wir wollten sie noch vieles fragen und mit ihr besprechen und ihr noch vieles sagen. Sterben wollte sie noch nicht, deshalb kam es uns, trotz ihres erfüllten Lebens viel zu früh vor. Wir kennen sie seit der Zeit der Wende, die „Ostfrauen“ aus unserer Gruppe natürlich länger. Wir denken an unsere ersten Begegnungen. Wir waren neugierig aufeinander, lernten viel voneinander und es war stets eine Bereicherung, wenn wir uns trafen. Gemeinsam haben wir 1996 eine Bilanz unserer jeweiligen Träume und Realitäten in Angriff genommen, um einige Jahre später dann auch noch einmal zu versuchen, uns ein "gutes Leben" im Hier und Heute vorzustellen.

Sie wird uns allen fehlen. Wir trauern, aber wir würden ihr keinen Gefallen tun, wenn wir nicht weiter an unserer gemeinsamen Sache arbeiten würden. Bei unseren Spaziergängen, einzeln und zusammen, werden wir an sie denken. Wir behalten sie in guter Erinnerung.

Gisela Notz und Frauen aus dem Frauenforum Ökonomie und Arbeit


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Donnerstag, 2. Dezember 2010

Hanna ist tot

Bis weit über ihre körperlichen Grenzen hinaus ist Hanna gegangen in der letzten Etappe ihres Lebens, dem "sechsten Leben" in ihrer Zeitrechnung. Sogar der Herausforderung einer mehrstündigen Herzoperation hat sie sich noch gestellt vor drei Tagen, damit sie hinterher - von drei Bypässen unterstützt - ihr letztes Buch "Generation Aufbruch" hätte fertigstellen können; doch es blieb bei den sechs Leben - und Hanna hat sie wahrlich "erfüllt und aktiv zu Ende gebracht", genau so, wie sie es sich auf der letzten Seite ihrer Autobiographie "Die Überleberin" gewünscht hat.

Liebe Hanna, wir sind alle unsagbar traurig, Dich nicht mehr leibhaftig bei uns zu haben. Doch mit Deiner ganz besonderen Art, dieser Mischung aus Neugier und Unbeugsamkeit, Offenheit und Dickschädeligkeit, Großherzigkeit gegenüber anderen und Unbarmherzigkeit gegen Dich selbst, dazu Dein trockener englischer Humor, der Dich durch alle schweren Zeiten hindurch immer zuerst auch über Dich selbst lachen lassen konnte, ... mit alledem und noch viel mehr lebst Du unvergesslich in unserer Erinnerung fort.

Dazu verdanken wir Deinem hohen physischen und mentalen Anspruch an Dich selbst ein reiches schriftliches Vermächtnis, kundig, lebendig und detailliert.

Deiner Nachwelt Deine Erfahrungen, Gedanken und Überzeugungen weiterzugeben, hat Dich jeden Tag aufs Neue dazu angestachelt, Dich mit äußerster Disziplin an den Computer zu setzen und Geschichte zu schreiben: Deine eigene, die Deines vor vier Jahren verstorbenen Mannes Manfred, ja die einer ganzen Generation.

Du hast eine große Familie aufgebaut, inklusive vieler vierbeiniger Mitglieder, und noch Deine Urenkelkinder im Arm gehalten. Du hast "alles an Lust und Freude erlebt, das einer Frau zuteil werden kann", wie Du in der "Überleberin" schreibst. Auch alles an Schmerz und Leid.

Mehr geht wahrlich nicht in 88 Jahren. Jetzt darfst Du, endlich wieder mit Manfred vereint, mit Fug und Recht friedlich ruhen.

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